Das anonymisierte Bewerbungsverfahren

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Employer Branding
Sind anonymisierte Bewerbungen ein geeignetes Mittel um
die Anzahl von Bewerbungen zu erhöhen? Ist das eine Möglichkeit für Frauen oder
Jobsuchende mit Migrationshintergrund, dass sie im Bewerbungsverfahren weiter
kommen? Wer setzt das Verfahren bereits ein, welche Erkenntnisse gibt es?
 

Mein neuester Beitrag erscheint zu spät und doch zu früh … Ein Virus hat mir (und halb Wien) eine ungewollte Pause verschafft hat, daher konnte ich letzten Freitag nicht posten. Und heute ist erst Donnerstag, trotzdem gibt’s schon News. Weil ja morgen Karfreitag ist und alle, die nicht krank sind, dann wohl schon beschäftigt sind, die Ostereier zu suchen ;-).Also hier, ein wenig zeitverzögert, mein Bericht zur Veranstaltung “Anonymisierte Bewerbung – Karriere durch zensierten Lebenslauf?“ Auf Einladung vom personalerforum war ich gemeinsam mit ca. 30 Personalistinnen im Palais Strudlhof zu einem Vortrag und anschliessender Diskussion eingeladen. Hier ein Auszug aus der Einladung:

„Die Anonymisierung von Bewerbungen ist ein Mittel unter mehreren, um nicht nur bewusste, sondern vor allem auch unbewusste Willkür in Bewerbungsverfahren zu minimieren und dadurch Diskriminierung zu vermeiden. Die Arbeitsmarkt-Chancen für Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und Menschen mit Beeinträchtigung sollen dadurch erhöht werden. Erfahrungen aus anderen EU-Ländern haben gezeigt, dass durch das Verfahren auch Bewerberinnen und Bewerber zum Zug kommen, die ansonsten als risikobelastet wahrgenommen worden wären. …“

August Gächter, Projektleiter, Zentrum für soziale Innovation,  Nasila Berangy-Dadgar, Migrationsbeauftragte und Herwig Kummer, Leitung Recruiting & Personalentwicklung, beide vom ÖAMTC, haben ihren Zugang und ihre Erfahrungen zum Thema präsentiert.

In Österreich ein Thema, zu dem es offensichtlich bisher kaum Erfahrungswerte gibt. Bereits im Jahr 2012 wurde eine entsprechende Studie vom Frauenministerium in Auftrag gegeben, Rewe und Novomatic haben sich bereit
erklärt, das Verfahren zu testen.

August Gächter nennt 2 Gründe, die für das anonymisierte Bewerbungsverfahren sprechen:

  1. Rechtliche Gründe: Laut der EU Charta der Grundrechte sind Diskriminierungen verboten.
  2. Sich selbst „austricksen“: Diskriminierung passiert oft ohne Absicht und unbewusst. „Bauchgefühl und Erfahrung“ bedingen auch Vorurteile.
Laut August Gächter ist das anonymisierte Bewerbungsverfahren für alle Qualifizierungsebenene möglich. Es braucht eine kriteriengeleitete Entscheidungsfindung, d.h. Führungskräfte müssen vor der Ausschreibung sehr genau überlegen, welche Qualifikationen benötigt werden und sich dann im Prozess an die Regeln halten. In der Umsetzung muss es ein Standardformular für alle Positionen, für manche Positionen zB Lehrstellen ein adaptiertes Formular geben.Unabhängig davon, ob das Bewerbungsverfahren anonymisiert durchgeführt wird oder nicht, fände ich es ja grandios, wenn Führungskräfte sich schon vor der Ausschreibung überlegen, welche Qualifikationen benötigt werden (und dann vielleicht noch ob diese „Liste“ auch realistisch ist, aber darüber habe ich schon hier geschrieben).

Nasila Berangy-Dadgar berichtet, dass für die österreichische Studie noch immer keine Ergebnisse vorliegen und sowohl Rewe als auch Novomatic offensichtlich keine Ergebnisse bekannt geben (wollen). Es gibt – im Gegensatz zu Deutschland – auch keine öffentliche oder öffentlich-nahe Einrichtung, die zumindest testweise das anonymisierte Bewerbungsverfahren durchführt. Die einzigen Ergebnisse, die sichtbar sind: es wurde eine Mischform eingeführt, man kann sich also bei Novomatic und Rewe aussuchen, ob man das Bewerbungsverfahren anonymisiert beginnen möchte oder nicht.

Hier der Text der Rewe Karrierewebsite:

„REWE International AG unterstützt seit November 2012 das von Bundesministerin für Frauen und öffentlichen Dienst, Gabriele Heinisch-Hosek, initiierte Pilotprojekt zum anonymisierten Bewerbungsverfahren in Österreich. Nach einer ersten Testphase im Bereich der IT hat sich das Unternehmen dazu entschieden das Projekt auf die gesamte REWE International Dienstleistungsgesellschaft m.b.H. sowie die REWE International Lager- und
Transportgesellschaft m.b.H. auszuweiten. Bewerber/innen steht ab jetzt auf der Onlineplattform bei ausgeschriebenen Positionen der Firma REWE International AG ein zusätzlicher Button „Anonym bewerben“ zur Verfügung. Das Onlineformular für die anonymen Bewerbungen wurde so weit angepasst, dass keine Eingaben ermöglicht werden, welche einen Rückschluss auf Alter, Geschlecht oder Herkunft ermöglichen. REWE International AG freut sich in dieser Vorreiterrolle das Bundesministerium für Frauen und öffentlichen Dienst unterstützen zu können und lädt Bewerber/innen sehr gerne dazu ein diese Möglichkeit zu nutzen.“Tatsächlich, ich mache eine Stichprobe, suche nach Jobs in der Rewe Gruppe im HR Bereich. Es gibt 2 Positionen und bei beiden kann ich mich entscheiden, ob ich das herkömmliche oder das anonymisierte Bewerbungsverfahren wähle. Diese Mischform, meist auf Freiwilligkeit beruhend, dürfte sich größerer Beliebtheit erfreuen als das rein anonymisierte Verfahren.

Jetzt kommt allerdings die Frage auf: ist nicht die Auswahlmöglichkeit selbst bereits eine Vorverurteilung? Wer wählt denn das anonyme Verfahren und warum?

Natürlich checke ich auch die Novomatic Karriereseite. Vom anonymisierten Bewerberungsverfahren lese ich jedoch nichts.

Nasila Berangy-Dadgar weist noch auf mydays in Deutschland hin. Ein Blick auf die aktuelle Karrierewebsite zeigt:

„Anonymisierte Bewerbungen: Um auch weiterhin die Vielfalt in unserem Unternehmen zu fördern und um neue Wege bei der Beschäftigtensuche zu gehen, beteiligt sich mydays am Modellprojekt „Anonymisierte Bewerbungsverfahren“ der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Auf einige der ausgeschriebenen Stellen bewerben Sie sich deshalb über das anonymisierte Bewerbungsformular. Auch hier öffnet sich das Formular automatisch, wenn Sie auf „Online-Bewerbung“ klicken.“

Stichprobe meinerseits: Es gibt offene Stellen, bei keiner öffnet sich jedoch das Formular zur anonymisierten Bewerbung. Das hinterlässt jetzt doch ein Fragezeichen bei mir.

Herwig Kummer erläutert, dass sich der ÖAMTC aktuell dagegen entschieden hat, das anonymisierte Bewerbungsverfahren einzusetzen. Dem sind intensiven Überlegungen voraus gegangen und die Erkenntnis, dass diese Art des Bewerbungsverfahrens sehr ressourcenaufwendig ist. Das Anforderungsprofil muss völlig anders gestaltet werden, Fragen so gestellt, dass Bewerberinnen auch damit umgehen können. Selbst wenn Name, Foto, Geburtsdatum weggelassen werden, jede Recruiterin ist anhand der restlichen Angaben in der Lage, sich ein Bild davon zu machen, um welche Person es sich handeln könnte (Schulzeit, Schulort, etc.) und entsprechende Schlüsse zu ziehen. Es dauert nur länger 😉

Er stellt die Frage in den Raum, ob wir nicht bereits von einer Teilanonymisierung sprechen können? Früher wurde ja z.B. der Familienstand, die Religion, Beruf der Eltern und evtl. Geschwister angegeben. Und weiters – hier spricht er mir übrigens aus der Seele, gibt er zu bedenken, dass Bewerberinnen keine Profis sind und oft gar nicht wissen, wie man sich den „richtig“ bewirbt. D.h. das anonymisierte Bewerbungsverfahren ist auch für sie mehr Aufwand. Ganz im Gegenteil zu den aktuell sehr populären One Click Bewerbungsportalen, wo man z.B. ganz leicht die Daten aus dem XING Profil importieren kann.

Ich selbst bin ein Fan davon, dass man es für Jobsuchende so leicht wie möglich macht (Stichwort Candidate Experience) und setze eine derartige Software ein. Über den Trend, sich mittels Video zu bewerben habe ich bereits berichtet. Was wird sich durchsetzen?

Auszug aus einer Presseaussendung aus dem Jahr 2012:

„Wenn das Projekt die erwünschten Ergebnisse bringt, wollen wir im Rahmen des Diversitätsmanagements
auch die Bewerbungsverfahren der Stadt Wien anonymisiert durchführen“, kündigt Frauenberger an.

Ich glaube da gibt es nicht mehr viel hinzuzufügen.

Frohe Ostern!

Herzliche Grüße Claudia

PS: Einer der wenigen österreichischen Personal-Blogs feiert Geburtstag! Alles Gute Personaleum – ich freue mich auf alle künftigen Beiträge!