Homemade: ein Recruitingtrend?

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Recruitingpraxis
In vielen Lokalen in Wien und auch anderswo gibt es die „Homemade Lemonade“ meist verziert mit einem netten Sticker und einem Schleifchen. Ich mag das und meistens bestelle ich die dann auch. Oft schmeckt es wirklich gut, manchmal ist es leider enttäuschend (für mich zumindest, einer anderen schmeckt es vielleicht hervorragend). In letzter Zeit ertappe ich mich immer wieder bei dem Gedanken, dass ich so eine Homemade Lemonade (oder Kuchen oder Granola, ja sogar Pasta egal darauf kommt es letztlich gar nicht an) an das eine oder andere Unternehmen schicken möchte mit einem Hinweis: „eure Probleme geeignete Mitarbeiterinnen zu finden sind auch hausgemacht.“ Vielleicht kann so ein netter Sticker also quasi das Gegenstück zu einem Arbeitgebersiegel ja mal verliehen werden. Ich wüsste da ein paar Anwärterinnen….
Es gibt unzählige Veranstaltungen, wo sich Recruiterinnen und HR Verantwortliche über das Thema „Fachkräftemangel“ und „war for talents“ austauschen und Strategien überlegen. Da werden Employer
Branding Kampagnen aufgesetzt, Social Media Recruiting Strategien überlegt und neidvoll auf manche Unternehmen geschielt, die offenbar kein Problem haben, passende Mitarbeiterinnen zu finden und auch zu halten.

Nächstes Jahr feiert „War for talents“ übrigens Jubiläum: das 20 jährige!
Schon 1997 prägen Ed Michaels und Steven Hankin den Begriff. In dem Buch „The war for Talents“ schreibt Ed
Michaels gleich in der Einleitung: „… was their belief, that talented people were critical to their company’s performance and success. Furthermore, the had described the bold actions they had been taking to strengthen their company’s talent pools. We looked at one another and suddenly the light bulb blinked on: It wasn’t better HR processes that made the difference. Rather it was the mindset of leaders throuhout the organization that made the difference.“

Ich stimme ihm fast 20 Jahre später zu, darüber habe ich hier schon einmal berichtet. Aber ich bin auch davon überzeugt, das HR Prozesse und Recruitingprozesse insbesondere auch ihren Teil dazu beitragen. 2011 erscheint die Studie „Wettbewerbsfaktor Fachkräfte. Strategien für Deutschlands Unternehmen.“ von Mc Kinsey. In dieser werden 4 Thesen aufgestellt:

  1. Fachkräftemangel ist eine reale Herausforderung.
  2. Unternehmen müssen und können gegensteuern.
  3. Fachkräftemangel ist abwendbar – wenn alle mitmachen.
  4. Personal wird zur zentralen strategischen Ressource.

Wir haben das Jahr 2016, welche Themen bewegen uns im HR Bereich und im Recruiting heute?

  • Candidate Experience
  • Neue Wege im Recruiting
  • Employer Branding
  • Generation Z
  • Mobile Recruiting

heißt es am Blog von karriere.at.

  • Digitale Transformation
  • Arbeit 4.0
  • Neue Arbeits- und Organisationsformen
  • Big Data und Datenschutz
  • Frauenquote
  • Flüchtlinge

nennt haufe.de die wichtigsten HR Trends2016.

  • Die Qualität der Neueinstellungen als
    wichtigste Kennzahl im Recruiting
  • Die Arbeitgebermarke
  • Konkurrenz als größte Hürde bei der Gewinnung
    von Top Talenten
  • Die Bindung von Spitzenkräften
beschreibt die Studie von LinkedIn“Recruiting Trends in Deutschland“ als die wichtigsten Herausforderungen.

Und ich frage mich, was sich seit 1997 eigentlich geändert hat, wenn ich folgendes erzählt bekomme: Ein Bekannter ist auf Jobsuche. Hat vor Weihnachten beschlossen, die Feiertage zu nützen, sich einmal umzusehen. Hat also auf den Online Jobbörsen einmal gescreent, was sich so tut, welches Unternehmen gerade Jobs zu besetzen hat, die ihn interessieren. Und hat auf diese Weise 9 offene Positionen identifiziert. Hat sich im nächsten Schritt eine Excel Tabelle angelegt und „Buch geführt“ – mit interessanten Ergebnissen:
Der „vorbildliche“ Bewerber hat sich nämlich über alle Unternehmen vorab informiert, Website, kununu und Social Media Kanäle. Vom Start up bis zum Konzern übrigens alles dabei. Hat sich die Stelleninserate sehr genau durchgeschaut und einige Punkte waren aus seiner Sicht unklar. Und hat sich dann gedacht, bevor ich jetzt 9 Bewerbungen wegschicke ist es doch für alle Beteiligten besser, wir klären das telefonisch ab, dauert im Normalfall ein paar Minuten und erspart ihm eventuell den einen oder anderen Gesprächstermin. Der Recruiterin übrigens auch (meine persönliche Meinung) und ihm (verständlicherweise) egal, Originalzitat: „das ist ja deren Job aber ich habe aktuell einen Job und auch wenn ich nicht davon ausgehe, dass ich zu 9 Gesprächen eingeladen werde muss mir die Zeit dafür trotzdem irgendwie freischaufeln. Mache ich gerne, wenn die offenen Punkte geklärt sind. Wenn wir aber in einem 3 Minuten Telefonat abklären können, das das in die falsche Richtung geht, spare ich mir den Aufwand.“ Und – ich wiederhole mich – auch der Recruiterin!

Nächster Schritt: Recherche der Ansprechpartnerinnen. In 2 Inseraten werden diese mit Telefonnummer angegeben, in allen anderen nicht. Schnell auf die Karrierewebsite geschaut, da werden 2 weitere gefunden, 5 jedoch nicht. Also folgen Anrufe direkt bei den Unternehmen. Natürlich erreicht er nicht alle Recruiterinnen gleich bzw. erfährt er auch nicht überall, bei wem er den eigentlich nachfragen könnte. Also lässt er sich jeweils in die HR Abteilung verbinden, stellt sich vor, sagt, dass er Interesse an der Position XY hat und bittet um einen Rückruf, um offene Fragen abzuklären. Konkret erreicht er 2 Personen gleich und kann in wenigen Minuten tatsächlich telefonisch abklären, ob es Sinn macht, sich zu bewerben. Bei 7 Unternehmen hinterlässt er die Bitte um einen entsprechenden Rückruf. Und jetzt raten Sie mal, wieviele Rückrufe er nach 2 Wochen erhalten hat.
Volltreffer: 0! Alle, die richtig geraten haben dürfen sich jetzt mit einem Schluck Homemade Lemonade belohnen ;-)!

Immer wieder höre ich von Bewerberinnen, dass es ja schon toll ist, wenn man überhaupt eine Rückmeldung auf eine Bewerbung erhält. Gilt anscheinend auch für Rückrufe. Wieder kein Märchen sondern Realität in der Recruitingpraxis. Vielleicht hilft es, sich einfach auf die Basics zu besinnen und schon passt es auch wieder mit der Candidate Experience? Vielleicht spart man sich den einen oder anderen Mehraufwand im Recruiting? Und vielleicht kann sogar die Time to hire verbessert werden 😉

Liebe Recruiterinnen, natürlich weiss ich von der Problematik der zeitlichen Ressourcen. Ich kenne einige Recruiterinenn, die zwischen 20 und 40 offene Positionen betreuen. Pro Woche sind das also pro Position 1 – 2 Stunden, die man aufwenden kann. Und selbst wenn wir (wie es in der Realität wohl üblich ist) davon ausgehen, dass wir 50 Stunden pro Woche arbeiten – das macht das Kraut jetzt auch nicht fett oder?

Henrik beschreibt dieses Thema übrigens hier sehr treffend, da spare ich mir jetzt weitere Ausführungen, ist heute sowieso schon wieder recht lang geworden.

Fazit: Nicht umsonst ist „Fachkräftemangel“ das Unwort des Jahres 2015, Henner hat vor kurzem bereits darüber berichtet. Und für alle, die noch ein wenig in der Historie zurückgehen möchten: hier sein Beitrag aus 2013 … man könnte das Datum auch auf heute ändern – das Thema ist und bleibt ein Dauerbrenner, ob Homemade oder nicht – oder wie sehen Sie das?

Herzliche Grüße

Claudia

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