Recruiting auf Augenhöhe

Oft lese ich Artikel, Blogbeiträge oder Statements über Recruiting und denke mir: „das sehe ich anders.“ Manchmal äußere ich mich dazu direkt bei den Verfasserinnen und manchmal kommentiere ich. Genau so ist das übrigens auch, wenn ich gleicher Meinung bin 😉 wollte ich nur gesagt haben! Oft überlege ich, selbst einen Blogbeitrag zum entsprechenden Thema zu schreiben und dann meine Sicht der Dinge darzulegen. Dafür sind Twitter Kommentare einfach nicht geeignet. Und heute ist es soweit. Diesen Blogbeitrag habe ich geschrieben, weil ich letzte Woche innerhalb von sehr kurzer Zeit zwei Artikel gelesen habe, denen ich nicht uneingeschränkt zustimmen kann. Die Themen verdienen eine differenzierte Betrachtung. 

Recruiting ist zu wichtig, um es den Jungen zu überlassen“ plädiert Markus Väth auf XING Insider. Er ist dafür, dass Recruiter neben ihrer beruflichen Qualifikation ein gewisses Alter erreicht haben. Sagen wir mal, mindestens 40 Jahre. Und erntete dazu sehr viel Zustimmung im Netz. Die Recruiting Community auf XING, Twitter und Facebook teilt den Artikel und „feuert“ quasi noch an.

Diese Diskussion führen wir übrigens bei fast jeder HR Veranstaltung, in jedem Recruiting Workshop und bei diversen anderen Anlässen. Ich kann Markus Väth aber nur bedingt zustimmen.

Ich war selbst schon in der Situation: Bewerbungsgespräch für eine HR Position bei einer namhaften weltweit tätigen Personalberatung. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon einige Jahre Erfahrung im HR und auch im Recruiting. Mein Gegenüber, eine sehr nette, sehr junge und völlig überforderte Absolventin. Sie hat sich wirklich bemüht und hat mir leid getan. Am Ende des Gespräches hat sie mir gesagt, dass ich erst die zweite Person bin, die sie in ihrem Leben interviewed. Für sie war die Situation sicher unangenehmer als für mich. Trotzdem habe ich dieses Unternehmen (damals war ich ja auch potentielle Auftraggeberin!) natürlich niemals in Betracht gezogen. Daher hier meine Empfehlung: wann immer Sie eine Personalberatung beauftragen, lernen Sie die Person, die die Gespräche mit Ihren potentiellen Mitarbeiterinnen führt unbedingt persönlich kennen. Soviel Zeit sollten müssen Sie investieren, andernfalls schadet sich nämlich im schlechtesten Fall nicht nur das Beratungsunternehmen, sondern auch Ihre Arbeitgebermarke wird negativ beeinflusst.

Stellen wir uns mal vor, Sie haben eine wirklich schwierig zu besetzende Stelle. Sie beauftragen eine Personalberatung. Eine Sourcing Expertin macht alles richtig und hat eine Top-Kandidatin identifiziert. Die hat tatsächlich Interesse und kommt zum persönlichen Gespräch. Und sitzt dann der netten Absolventin gegenüber. Alles verlorene Liebesmüh!

Aber wo bitte bleibt denn da der Widerspruch? Bisher stimme ich Markus Väth ja völlig zu. 
Versetzen wir uns doch einmal zurück in die Zeit, als wir selbst als Jugendliche auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz, ein Traineeship oder eben dem ersten Job nach dem Studieneinstieg waren. Nervös sitze ich dann einer erfahrenen Person gegenüber. Moment, genau so war das bei mir damals! Und ich habe es schrecklich gefunden. Habe mich unwohl gefühlt und obwohl ich eine Zusage bekommen habe, abgesagt. Das liegt natürlich nicht nur am Alter der handelnden Personen, da haben schon andere Faktoren auch eine Rolle gespielt. Aber der sehr honorige Mann, der mich einfach eingeschüchtert hat, war vielleicht genau so fehl am Platz wie einige Jahre später die nette Absolventin.

Es geht also nicht ums Alter und auch nicht in jedem Fall um die vorhandene Berufserfahrung. Erfolgreiches Recruiting kann eigentlich nur eines bedeuten: Recruiting auf Augenhöhe.

Wie das in der Praxis aussehen kann? Warum nicht mal Lehrlinge in den Bewerbungsprozess für künftige Lehrlinge  einbeziehen. Die schauen auf ganz andere Dinge als wir „Berufserfahrenen“, können Gleichaltrige meist sehr gut einschätzen und geben tolles Feedback. Für die Jugendlichen, die gerne eine Lehrstelle haben wollen, ist das eine gute Möglichkeit sich mit „ihresgleichen“ zu unterhalten. Ich habe das zum Beispiel bereits so umgesetzt, dass wir bei einer Recruitingveranstaltung Lehrlinge ausgewählt haben, die mit den Bewerberinnen eine Hausführung gemacht und ihre Fragen beantwortet haben. In der Zwischenzeit habe ich eine Führung mit den Eltern der Bewerberinnen gemacht. Auch im weiteren Prozess war eine Jugendliche, die erst kurz vorher selbst ihre Lehre beendet hat, involviert. Ja das war in der Vorbereitung aufwendig. Und ja das erfordert Vertrauen in die eigenen Lehrlinge. Aber es lohnt sich – versprochen!

Für die Auswahl für das Traineeprogramm holen wir also Leute dazu, die es entweder jetzt gerade durchlaufen oder die gerade damit fertig sind. Das Prinzip ist klar oder?

Ich höre schon, wie der Aufschrei kommt: das ist mit unseren Ressourcen aber nicht machbar! Holen wir also lieber eine erfahrene (und damit wohl auch teure) Recruiterin oder setzen wir doch lieber auf eine nicht so erfahrene (und damit auch nicht so teure) Recruiterin? Tja diese Entscheidung kann und will ich niemanden abnehmen, eine gute Zielgruppenanalyse wäre mal ein Anfang. Denn DAS verdienen sich doch Bewerberinnen aller Alters- und Erfahrungsklassen oder?

Recruiting ist zu wichtig, um es nur den Jungen oder nur den Alten zu überlassen!

Und weil ich schon dabei bin, widme ich mich nächste Woche der Daseinsberechtigung von HR Abteilungen!
Der Frage, wo österreichische Unternehmen im Recruiting stehen, geht die aktuelle Studie „Recruiting im Wandel“ nach. Teilnehmen!

Herzliche Grüße 
Claudia

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